Estlands harte Sparpolitik kommt auf die Bühne
Der US-amerikanische Ökonom Paul Krugman kommentiert mit seinem Blog täglich das Wirtschaftsgeschehen dies- und jenseits des Atlantiks. Seine pointierten Meinungen sorgen oft für hitzige Debatten. So stellte er 2009 eine Staatspleite Österreichs wegen der Ostengagements der heimischen Banken in den Raum. Krugmans digitales Wortgefecht mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves hat es jetzt auf die Bühne geschafft.
Estland sei zu Unrecht das "Vorzeigekind der Anhänger einer rigiden Sparpolitik". Sein Fall wäre tief gewesen, seine Erholung respektabel, das reiche aber nicht für die ökonomische Legendenbildung, schrieb Krugman am 6. Juni 2012 in seinem Blog auf der Website der "New York Times".
Das veranlasste den Esten Ilves zu einem Breitseiten-Reigen auf Twitter, der sich sehen lassen kann. "Man schreibe über etwas, von dem man nichts versteht und sei blasiert, anmaßend und gönnerhaft", ließ er um 20.57 Uhr desselben Tages wissen. Nur um wenige Minuten später zu vermuten, dass ihm Krugman seinen Uni-Abschluss neide: "Das muss etwas mit Princeton gegen Columbia zu tun haben." Krugman lehrt an ersterer Ausbildungsschmiede, Ilves studierte Psychologie an zweiterer.
Bis zum Frühstück am Folgetag kam nichts von Krugman, Ilves legte nach. Wie das Salz zum Ei durfte eine Prise Ironie nicht fehlen: "Wir sind nur dumme und alberne Osteuropäer. Unaufgeklärt. Eines Tages werden wir auch verstehen. Nostra Culpa."
Dieses "Nostra Culpa", auf Lateinisch "unsere Schuld", hat der Oper des US-amerikanischen Journalisten Scott Diel und des lettischen Komponisten Eugene Birman ihren Namen gegeben. Premiere hat das Stück am 7. April im Rahmen der Musiktage in Tallinn. Mit der ökonomischen Analyse Krugmans singt man sich warm, mit den handfesten Lamenti des estnischen Präsidenten wird es dann dramatischer. Da sich Krugman zu keinen Tiraden hinreißen ließ, formte Diel mit Hilfe von Fachbegriffen und Daten eingängige Refrains.
"Diese beiden Herren repräsentieren zwei Seiten einer Debatte, die seit 70 bis 80 Jahren andauert und bisher keine klare Antwort geliefert hat", so erklärt Texter Diel den Hintergrund der Finanz-Soap gegenüber dem "Wall Street Journal".
Über die Wirtschaftsentwicklung lässt sich freilich trefflich streiten. Die Esten, die die Nullerjahre weit über ihre Verhältnisse gelebt haben - was sich beispielsweise an den damals allgegenwärtigen Luxusautos zeigte - haben ab 2008 drastisch gespart. Das BIP des von der Finanzkrise stark gebeutelten Landes rasselte im Folgejahr um 14 Prozent in den Keller.
Heute aber liegt die Kaufkraft der estnischen Bürger wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Krise. Island, das als Nicht-EU-Mitglied nicht in dem Ausmaß gespart hat, ist das bis dato nicht gelungen. Das stärkt die Argumente der in Europa dominierenden Sparpolitiker und schwächt jene Krugmans.
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