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Zeitkapsel - Wir haben Plastiktüten mit alten Dinar bezahlt

Quelle: eKapija Sonntag, 02.09.2018. 17:44
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Podeli

(FotoJozef Sowa/shutterstock.com)
Mitte der Achtzigerjahren hat Belgrad erst begonnen, sich von den Sparmaßnahmen der Bundesregierung von Milka Planinc zu erholen, von den täglichen Stromsperren, Mangel an Schokolade, Bananen ... völlig unvorbereitet für die schlechten Zeiten, die es im nächsten Jahrzehnt erwartten. Belgrad war damals die Stadt der guten Musik, Kultur und des Sports auf einer Seite, und die Stadt der Telefonzellen mit herausgerissenen Hörern und der mit Graffiti besprühten Wände der Markuskirche auf der anderen. Eine ungeschminkte, männliche Stadt aus Beton, und zugleich die Stadt, in der Plastiktüten in Supermärkten verkauft wurden.

Wir haben diese Stadt inzwischen vergessen, genauso wie diese Plastiktüten, die wir damals bezahlen mussten. Es wundert deshalb nicht, warum viele mit Überraschung auf eine neue Gebühr reagierten, obwohl wir früher daran angewöhnt waren. Erinnert sich doch irgendjemand an die alten, laute NCR-Registrierkassen und Kaffeemühlen in den Belgrader Supermärkten? Die Jahren spielen dabei überhaupt keine Rollen. Der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk hat in einem seiner Bücher bemerkt, wie seine Landleute, Türken und ihre Schriftsteller, die Hauptstadt Istanbul jahrhundertelang nicht berücksichtigt haben. Die Vergangenheit von Instanbul wäre vergessen worden, wenn es einige ausländische, meist französische Reiseschriftsteller nicht gegeben hätte, die ihn gelegentlich besuchten und beschrieben. Der Franzose André Gide hat die Türkens schließlich so verärgert, dass sie sich im nächsten Jahr völlig verändert haben. Die Hauptstadt Serbiens ist nicht so unterschiedlich, wenn es um die Fähigkeit geht, sich selbst im Gedächtnis zu behalten.

Die Ankunft in die Stadt der Lichter, Paris, ähnelte vor drei Jahrzehnten für jemanden, der aus der Stadt der ungestrichenen Mauern Belgrad kommt, wahrscheinlich der Landung auf einem unterschiedlichen, wenn nicht auf einem anderen Planeten. Die an Nostalgie Leidenden würden diesem sicher nicht zustimmen, aber der Unterschied zwischen dem Sichtbaren und Fühlbaren war größer als heute. Der geistige Unterschied war aber nicht groß, au contraire. Im grauen Belgrad hat man Sex Pistols gehört, London und England geliebt, darüber diskutiert, ob man "Punk`s not Dead" oder "Punk`s not Death" schreiben soll... Franzosen waren uns damals nicht interessant, außer ihrer Fußballmannschaft, die damals sehr stark war; englische Fußballspieler hatten jedoch mehr Fans, man war für Gary Lineker, Liverpool und Chelsea, und nicht für Michel Platini - außer wenn Franzosen gegen Deutsche spielten.

Plastiktüten waren damals kostenfrei in Paris. Man konnte im Supermarkt so viel Tütten nehmen, wie er wollte.

Sehr hohe Preise für "luxuriöse Waren" wie Kaffee und Schokolade in Jugoslawien machten den Einkauf in Supermärkten und Käufhäusern in Paris noch wunderbarer für den ordentlichen jugoslawischen Bürger. Die Verkäuferin hat an der Registrierkasse getippt, Einheimische haben damals noch immer Schecks ausgefüllt. In dieser Vorkrisenzeit im Westen gab es genug Verkäuferinnen, weshalb man an der Kasse nicht lange warten musste. Der große Einkaufswagen wurde entleert, die Kassiererin lies die Endsumme und die junge jugoslawische Französischlehrerin blieb sprachlos und geschockt: sie sollte 54.530 französische Franken zahlen! Obwohl Fremdsprachenlehrerin war sie gut in Mathe und berechnete sehr schnell, dass es um mehr als 15.000 DM geht, und Dinar...

Die Lehrerin machte so einen Gesichtsausdruck, dass sie die Kassiererin zum Lachen brachte. Sie fragte die Kundin, ob sie vielleicht eine Ausländerin ist und erklärte ihr, dass sich viele Franzosen, insbesondere ältere Bürger noch immer nicht an die Veränderung angewöhnt hätten, weshalb sie zwei Nullen zu den Preisen in den neuen Franken hinzufügen. Die Rechnung betrug 545,30 Franken, also ein wenig über 150 DM, was begleichbar war.

Neue Franken wurden noch von Charles de Gaulle eingeführt, und damals war Francois Mitterrand im Amt. Franzosen benahmen sich, nämlich, wie Jugoslawen.

Mehr als ein Vierteljahrhundert hat man in Jugoslawien für 100 Dinar "zehn tausend" gesagt. Das war das bekannte rote Geldschein mit dem Reiter. Wir haben Preise auf zwei Arten gelesen: offiziell, in neuen, und traditionell in alten Dinar. "Hier sind zwei tausend Dinar für Kaugummis", hat man zu Kindern gesagt und ihm in Wirklichkeit 20 Dinar gegeben. Die neue Banknote mit dem Präsidenten Josip Broz Tito war 5.000 Dinar wert, aber man hat fünfhunderttausend Dinar gesagt. In einem Lied sang der damals populäre Rocksänger Jura Stublic, er würde eine Milliarde Dinar für eine Sekunde des ersten Kusses geben, und er meinte darunter wahrscheinlich den offiziellen Betrag von 10 Mio. Dinar.



Geldscheine von 100 und 500 Dinar, bekannter in den Achtzierjahren als 10.000 und 50.000 Dinar (FotoNBS)Geldscheine von 100 und 500 Dinar, bekannter in den Achtzierjahren als 10.000 und 50.000 Dinar

Wir haben dies auch zum größten Teil vergessen. Wir haben in Geschäften tausende und zehntausende Dinar, später Millionen und dann auch Milliarden ausgegeben. Wir sollen aber auch nicht die vier Nullen vergessen, die wir während der Regierungszeit von Ante Markovic losgeworden sind, wie auch die Hyperinflation in den Neunzigerjahren. Diese Tradition ist verloren gegangen. Nicht wichtig, würden viele von uns sagen.

Zollbeamten am Belgrader Flugahfe - der damals wie heutzutage zwei Terminals, eine einheimische Fluggesellschaft, viel weniger Fluggäste und den Namen Belgrader Flugahfen hatte, haben jeden Koffer, die in das Land eingetragen wurde, sehr streng kontrolliert, im Einklang mit den aktueleln Sparmaßnahmen. Besonders interessant waren damals Flugzeuge, die aus Istanbul, Dubai und Singapur sowie aus Westeuropa kamen. Alle Koffer wurden mit Scannern mit dem Aufschrift "Heimann - Safe for films" geprüft. Der Flug JU241 aus Paris gehörte zu mäßig interessanten. Der Koffer einer Belgraderin zwang aber den erfahrenen Zollbeamten sehr lange auf den Bildschirm zu schauen. Ihm war etwas nicht klar.

Frau ..., was haben Sie in Ihrem Koffer (die offizielle Anredeform war "Kameradin", aber er schätzte, dass die Frau über seinem Niveau lag). Die Antwort überraschte ihn so sehr, dass er den Koffer manuell überprüfen musste. Er war nämlich voll von Plastiktüten aus dem Pariser Supermarkt INNO. Was ist das?, fragte er und setzte fort, nach versteckten, in Kleidung eingewickelten Videoanlagen zu suchen.

Ein Symbol der jugoslawischen Wirtschaft im Niedergang: Lufttransport von Plastiktüten für den Einkauf und Müll!

In einigen Jahren hat man auch bei uns aufgehört, Plastiktüten in Supermärkten zu verkaufen. In Hinsicht auf so viel Nullen, die wir unterwegs losgeworden sind, haben wir nicht gemerkt, dass unsere Wirtschaft ruiniert wurde. Als wir mit alten Dinar bezahlt haben, war diese Plastiktüte voller und widerstandsfähiger.

Mirko Radonjić

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